Das Archiv lebendiger Dokumente

Eine historische Praxeologie des digitalen Harold Garfinkel Archivs

Schon zu Lebzeiten Harold Garfinkels (1917–2011) war sein Archiv ein Mythos, da es in seiner netzwerkartigen und zugleich sequentiellen Organisationsstruktur den wissenschaftlichen Anspruch der Praxeologie dokumentierte und bis heute eine wichtige Ressource für Gegen­wartsforschung geblieben ist. Das Archiv des Begründers der Ethnomethodologie umfasst Dokumente im Umfang von ca. 1 Million Papierseiten, ca. 1000 Videodokumentatio­nen und ca. 2000 Tonaufzeichnungen aus Interviews und wissenschaftlichen Diskussionen mit führenden WissenschaftlerInnen seit den 1950er Jahren. Das frühe Schaffen Garfinkels ist weitgehend unbekannt und unerforscht, da nur ein Teil seiner Schriften veröffentlicht wurde. Gleich­wohl waren seine unveröffentlichten Manuskripte durch ihre interne Zirkulation bereits histo­risch wirkungsvoll, z.B. das Manuskript „Towards a Sociological Theory of Information“, das im Archiv von Erving Goffman wiederentdeckt wurde.

Vor diesem Hintergrund stellt die am Lehrstuhl für Science, Technology and Media Studies erstellte Dissertation von André Heck eine Pionierstudie dar. Seine 2025 erschienene Dissertation untersucht aus praxistheoretischer Perspektive den Prozess der Erstellung des digitalen Garfinkel-Archivs. Die in der Metzler-Reihe „Beiträge zur Praxeolgoie“ veröffentlichte Studie zeigt auf, wie auf Grundlage der von Harold Garfinkel entwickelten Ethnomethodologie und seiner „Sociological Theory of Information“ (1953) Daten zu modellieren sind, die Garfinkels eigenem Anspruch an „Archivarbeit“ gerecht werden. Die Struktur der Dissertation folgt hierzu im Wesentlichen dem chronologischen Ablauf im Projekt zwischen 2020 und 2024, d.h. in der Digitalisierung der Originale, der Datenmodellierung und der abschließen­den Entwicklung eines Conversational Interface, welches einem Zugang zu den Dokumen­ten verschafft.

Heck, André: Das Archiv lebendiger Dokumente. Eine historische Praxeologie des digitalen Harold Garfinkel Archivs. Stuttgart: Metzler 2025.